Jubiläum
30 Jahre Berliner Arbeitslosenzentrum (BALZ)
In Zeiten, da die Lobbyisten der Atom- und Pharma-Industrie und der Banken offen ihre Geschäfte mit der Bundesregierung auskungeln, benötigen die Arbeitslosen und Hartz IV – Empfänger ihre eigene Interessenvertretung mehr denn je. Schon vor 30 Jahren, als die Arbeitslosenquote „nur“ 5 % betrug ergriffen kirchliche Laien und einige Kirchenkreise im damaligen Westteil der Stadt die Initiative, abseits der Arbeitsämter eine eigene Beratungsstelle für Arbeitslose einzurichten. Zu den Mitbegründern gehörten u.a. Reinhard Tietz und Horst Kamrad.
Es bestand die Hoffnung, dass sich diese kirchliche Einrichtung irgendwann einmal überflüssig machen sollte, wenn der Arbeitsmarkt die Mehrheit der Arbeitslosen wieder in Lohn und Brot bringen würde. Doch diese Erwartung trog. Heute werden Arbeitslose fünf Jahre nach Einführung des „Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ besser bekannt unter dem Namen „Hartz IV“, als Faulenzer, Drückeberger und spätrömisch-dekadent verunglimpft. Auch fünf Jahre nach seiner Einführung spaltet „Hartz IV“ unser Land in Befürworter und Gegner, nachdem jüngst das „großzügige“ Angebot einer Erhöhung um 5,-- Euro auf 364,-- Euro im Monat von der Bundesregierung gemacht wurde. Das ist ein Betrag, der für die 6,8 Millionen Hartz IV – Bezieher zuviel zum Sterben sein mag, aber zum Leben definitiv zu wenig ist.
Nach christlichem Verständnis sind Reformen daran zu messen, ob sie den Menschen mehr Lebenssicherheit, mehr Freiheits-Chancen und mehr Teilhabe ermöglichen. Legt man diesen Maßstab zugrunde, dann ist die Geschichte von Hartz IV keine Erfolgsgeschichte:
-Wer seinen Arbeitsplatz verliert, wird schneller als früher zum „Sozialfall“.
-Die Zahl der Menschen steigt, die trotz Arbeit auf staatliche Leistungen angewiesen sind (Aufstocker). Deutschland hat im europäischen Vergleich den höchsten Niedriglohnsektor. Die Bundesregierung hat nichts gegen die Niedriglöhne getan, um dann diese Dumpinglöhne als Maßstab für die Bemessung von Hartz IV heranzuziehen.
-Die Regelsätze decken nicht das sozialstrukturelle Existenzminimum, insbesondere von Familien mit Kindern.
-Wer ins Hartz IV – System fällt, kommt schwer wieder heraus.
-Arbeitssuchende erleben den Gang zum „Jobcenter“ mit seinem horrenden Papierkrieg als demütigend. Wer von Leistungsempfängern statt von Hilfsbedürftigen spricht, der täuscht darüber hinweg, dass es auch bei uns Menschen gibt, die auf Hilfe angewiesen sind.
-Schwachstellen im Gesetz und ständige Neuerungen erzeugen Rechtsunsicherheit und eine zunehmende Prozessflut, die in einer Überbelastung der Sozialgerichte kulminiert. Durch die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld hat es die Politik geschafft, den wichtigen Unterschied zwischen denen, die auf Hilfe angewiesen sind, und denen, die Leistungen aus einem auch von ihrer Arbeit gefüllten Topf in Anspruch nehmen, zu verwischen. Es wurde also dafür gesorgt, dass auch, wer jahrelang eingezahlt hatte, schnellstens auf Sozialhilfeniveau gedrückt wurde.
Unter diesen Gesichtspunkten war der Festgottesdienst am 24. September 2010 in der Alten Nazarethkirche am Leopoldplatz in Berlin-Wedding zwiespältig: Was gibt es angesichts einer solchen Misere eigentlich zu feiern? Im Hinblick auf rd. 900.000 Beratungsgespräche seit Bestehen des BALZ betonte Frank Steger, Vorsitzender des BALZ, die dringende Notwendigkeit einer Fortsetzung dieser wichtigen Aufgabe. Der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, Pfarrer Dr. Markus Dröge, stellte seine Predigt unter das Wort des Predigers Salomo 2, 24-25 (Monatsspruch für September):
„Ist`s nun nicht besser für den Menschen, dass er esse und trinke und seine Seele guter Dinge sei bei seinem Mühen? Doch dies sah ich auch, dass es von Gottes Hand kommt. Denn wer kann fröhlich essen und genießen ohne ihn?“
Bischof Dr. Dröge sah im Selbstwertgefühl und in der Menschenwürde eines jeden Arbeitslosen, die unter der Arbeitslosigkeit gewaltig leiden, den zentralen Ansatzpunkt für weitere Hilfe, „denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ Er machte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BALZ Mut, ihren wertvollen Einsatz für die Schwächsten der Gesellschaft fortzusetzen. Er erhielt Unterstützung vom Sozialstadtrat des Bezirks Berlin-Mitte, Stephan von Dassel, und der Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales von Berlin, Carola Bluhm, die beide aus ihrer praktischen Arbeit berichteten und die sinnvolle, ergänzende Beratungstätigkeit des BALZ würdigten.
Der Superintendent des Kirchenkreises Teltow-Zehlendorf, Harald Sommer, berichtete als Beisitzer im Vorstand des BALZ, wie er als junger Pfarrer im Entsendungsdienst kurz nach der Gründung des BALZ im Jahre 1980 für die Verwaltung des damaligen Möbellagers verantwortlich war.
Das BALZ ist die älteste Beratungsstelle für Arbeitslose in Berlin. Es leistet praktische Hilfe zur Selbsthilfe. Diese kirchliche Einrichtung genießt wegen ihrer engagierten und kompetenten Arbeit einen hervorragenden Ruf. Ihre Arbeit ist auf Spenden angewiesen. Geben Sie in Zeiten, da Banker-Boni vom Steuerzahler finanziert werden, den Arbeitslosen eine Lobby! Das Spendenkonto lautet: Berliner Arbeitslosenzentrum, Kontonummer
3 133 903, Bank für Sozialwirtschaft, Bankleitzahl 100 205 00.
Hans-Henning Koch