Jahreslosung für 2011
„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“
Römer 12, 21
Wenn die Generationen bei Beerdigungen, Konfirmationen, Trauungen und Taufen das Vaterunser gemeinsam sprechen, gibt es bei der siebten Bitte häufig eine Unsicherheit. Die einen sprechen: „Und erlöse uns von dem Übel“, die anderen sagen: „Und erlöse uns von dem Bösen“. Martin Luther hatte seinerzeit in der Bibelübersetzung das Wort „malum“ mit „Übel“ übersetzt. 1971 wurde ein gemeinsamer ökumenischer Text vereinbart. Seither sagen wir: „Und erlöse uns von dem Bösen.“ Man wollte mit dieser Entscheidung unterstreichen, dass die Hinwendung zum Bösen eine aktive Entscheidung bedeutet. Dem Übel stehen wir passiv gegenüber: Wie eine Naturkatastrophe erleiden wir es, Gerechte und Ungerechte erfahren es in gleicher Weise.
Wenn Paulus in diesem Losungswort aus dem Römerbrief vom Bösen spricht, hat er diese aktive Dimension im Sinn. Wir können uns entscheiden. Gleichwohl sind wir verstrickt und wer könnte das nicht eindrücklicher verkörpern als Paulus selbst. Er wurde vom ehemaligen Verfolger der christlichen Gemeinden, der nach bestem Wissen und Gewissen handelte, zum Anhänger. Und er hat in diesem Prozess vom Bösen zum Guten Vergebung von den ehemals Verfolgten erfahren. Er stellt diesen Gedanken in den Alltag der Christen und ermahnt sie, sich für Frieden und Versöhnung einzusetzen. Manche mögen es damals als Stillhalten empfunden haben, besonders als ihnen der Brand Roms in die Schuhe geschoben wurde. Aber Böses mit Bösen zu vergelten bringt nichts, stellt Paulus fest. Er empfiehlt: Spielt nicht selbst Jüngstes Gericht. Sondern vertraut euch dem Zorn Gottes an.
Aber, kann man sich einem zornigen Gott anvertrauen? Ich bin überzeugt davon, dass unsere Mütter und Väter im Glauben nicht Affekte, nicht Gefühlsaufwallungen meinten.
Gott hat nicht ein zweites Gesicht, wie ein Mensch der in eine Richtung freundlich ist und dann zu Hause seine Familie verprügelt. Mit Zorn Gottes sind nicht die Abgründe menschlicher Psychologie gemeint. Zorn Gottes streicht Ungerechtigkeit heraus. Zorn Gottes schenkt jedem Opfer von menschlichem Zorn Würde. So ist Gott Richter! So werden Christen zu Menschen, die über den Horizont hinausschauen. Hinter dem Horizont werden vom zornigen Gott Tränen abgewischt, Wunden verbunden, Hungrige gespeist. Und weil Gott das tut, deshalb sollen wir das auch versuchen. Paulus unterstreicht es mit einem Wort biblischer Weisheit, die allgemeingültige Menschenweisheit ist: „Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25,21-22). Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“.
Mich fasziniert an Jesus, dass sein Arbeitsmittel für die gute Tat häufig der Esstisch ist. Er schafft Versöhnung immer in einer Tischgemeinschaft: Frauen und Männer sitzen zusammen. Zöllner und Fromme. Gesunde und Kranke. In der Praxis bedeutet es, vor den guten Taten reden und essen sie gemeinsam. Ich wünsche Ihnen von Herzen dass sie dieses Arbeitsmittel im Jahr 2011 wertschätzen können und Erkenntnis des Guten und Frieden finden.
Ihr
Pfarrer Michael Raddatz
Dank an Pfarrer Reinhardt Tietz
Ein Vierteljahrhundert lang traf man sich, in der Regel alle zwei Wochen, zur Bibelstunde mit Reinhard Tietz. Die Lektüre und die dazugehörigen Themen wurden von den Teilnehmern ausgesucht, die Diskussionen waren breit angelegt und wurden doch, manchmal unmerklich für uns, vom Pfarrer immer wieder auf den Punkt zurückgeführt. Stets wurde der historische Hintergrund ausgeleuchtet. Im Laufe der Zeit entwickelte sich unter den Teilnehmern eine Vertrautheit, die uns den Mut gab, auch Fragen zu stellen, mit denen man sich in anderer Gesellschaft blamiert hätte. Als wir die Offenbarung des Johannes lesen wollten, bestand Reinhard Tietz darauf, sich zuerst mit dem Buch Daniel vertraut zu machen, weil bereits im Alten Testament apokalyptische Geschichten zu finden sind. Auch hier wurden viele Fragen gestellt. Die meisten fanden eine Antwort, manche nicht, was uns lehrte, dass der Kosmos des Glaubens ein anderer ist als z.B. der der Mathematik. So lernten wir bei allen Versuchen, die Geschichten mit Gelehrsamkeit zu durchdringen, auch ein wenig Demut.
Lieber Reinhard Tietz, wir danken Dir für mancherlei Bereicherung, die wir durch Dich erfahren durften. Für mich waren Deine Bibelstunden Höhepunkte meiner nichtberuflichen Aktivitäten.
Für Deinen Ruhestand wünschen wir Dir und Deiner Familie alles Gute.
Bernd Nehrkorn